Ernährung

Produkte und Handel: Bio-Bilanz 2022

Zwischen Wunsch und Wirklichkeit: Der Biomarkt in der Krise

Über den deutlichen Umsatzrückgang auf dem Biomarkt, Geldsparen und das Retten der Welt.

Für die Biobranche war 2022 ein schwieriges Jahr: Der Umsatzrückgang liegt insgesamt bei 3,5 Prozent. Der Grund scheint schnell gefunden: Gerade in Zeiten mit hoher Inflation und gestiegenen Lebenshaltungskosten macht sich das Preisbewusstsein der Konsumenten bemerkbar. Ökologisch produzierte und damit etwas teurere Lebensmitteln finden seltener ihren Weg in den Einkaufswagen.

Doch woran liegt das? Und ist das wirklich der einzige Grund? Wie Verbraucher ihre Kaufentscheidungen bei Lebensmitteln treffen, ist immer wieder Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Zusammenfassend, nach neuesten Ergebnissen, könnte man sagen: Der Geist ist willig… aber das Fleisch ist schwach. Besonders bemerkenswert ist die Abweichung zwischen Einstellung und tatsächlichem Verhalten beim Einkauf.

Aber erstmal zu den aktuellen Zahlen der Branche:

Zumindest gegenüber den Vor-Corona-Jahren – also vor 2020 – zeigt sich der Bio-Markt in Deutschland mit rund 25 Prozent deutlich im Plus. Diese Zahlen nennt der Branchenreport 2023 des BÖLW.

Discounter profitieren, Supermärkte stabil, Fachhandel verliert

Am stärksten waren die Zahlen laut Branchenreport noch im Einzelhandel, der rund zwei Drittel des Bio-Marktes ausmacht: Die Erlöse stiegen um 3,2 Prozent auf 10,2 Milliarden Euro. Die Umsätze bei den Vollsortimentern blieben stabil. Vor allem profitierten aber die Discounter vom Trend hin zu günstigeren Produkten.

Ganz anders im Naturkostfachhandel: Hier sank der Umsatz um mehr als 12 Prozent auf 3,83 Milliarden Euro im Vergleich zum Vorjahr. Hofläden, Wochenmärkte, der Online-Handel oder auch Reformhäuser verzeichneten sogar ein sattes Minus von 18 Prozent. Die Erlöse sanken hier auf 1,97 Milliarden Euro.

Verbraucher bleiben Bio-Lebensmitteln treu

Vollkommen gegensätzlich stellen sich die Zahlen aus dem Öko-Barometer 2022 dar. Seit 2002 werden im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) jährlich die Einkaufsgewohnheiten von VerbraucherInnen in Bezug auf Bio-Lebensmittel untersucht.

Das aktuellste Ergebnis: Trotz Inflation und Kaufzurückhaltung bleiben VerbraucherInnen Bio-Lebensmitteln treu. 36 Prozent der Befragten bekunden, häufig (33 Prozent) oder ausschließlich (3 Prozent) Bio-Lebensmittel zu kaufen. Bei Eiern sowie Gemüse und Obst ist die Nachfrage am größten, gefolgt von Kartoffeln, Milchprodukten sowie Fleisch- oder Wurstwaren.

Gründe für den Bio-Kauf

Artgerechte Tierhaltung, möglichst naturbelassene Lebensmittel, regionale Herkunft und eine gesunde Ernährung sind mit Zustimmungsraten von jeweils etwa 90 Prozent die wichtigsten Gründe für den Kauf von Bio-Lebensmitteln. Nur unwesentlich seltener werden weniger Zusatz- und Verarbeitungshilfsstoffe als Grund angegeben. Auch die Vermeidung von Pflanzenschutzmittelrückständen ist für eine überwiegende Mehrheit der Befragten von Bedeutung.

Am häufigsten werden Bio-Lebensmittel im Supermarkt oder Discounter gekauft. Das belegen auch die Zahlen aus dem Branchenreport. Zudem gibt etwa die Hälfte der Befragten des Ökobarometers an, Betriebsrestaurants, Kantinen oder Mensen zu nutzen. Hier sind vier von fünf Befragten bereit, für ein Bio-Gericht mehr zu bezahlen.

Nachhaltigkeit: Zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Dass Wunsch und Wirklichkeit bei Bio und Nachhaltigkeit tatsächlich aber weit auseinanderklaffen, hat unlängst auch der von Kantar herausgegebeneSustainability Sector Index 2022ergeben: Für 74 Prozent der Deutschen ist Nachhaltigkeit zwar relevant, allerdings gelingt es vielen nicht, ihre guten Vorsätze in die Tat umzusetzen. Beispielsweise würden 44 Prozent gerne mehr lokal produzierte Produkte kaufen, um die Umwelt zu schützen. Aber nur 15 Prozent haben diesem Gedanken bereits Taten folgen lassen. 42 Prozent der Deutschen geben an, Produkte kaufen zu wollen, die das Tierwohl respektieren oder aus Freilandhaltung beziehungsweise Bioanbau stammen. Aber nur 19 Prozent machen es auch (ausschließlich oder meistens). Und 42 Prozent geben an, Einwegplastik vermeiden zu wollen – doch nur 17 Prozent gelingt es an der Ladentheke.

Sparbemühungen hemmen Trend zu mehr Nachhaltigkeit

Auch mit Blick auf die Frage, was die Deutschen davon abhält, nachhaltiger zu handeln, liefert der „Sustainability Sector Index“ einige interessante Aspekte.

  1. 76 Prozent sind der Überzeugung, dass nachhaltige Produkte teurer sind.
  2. 58 Prozent sagen, dass sie sich angesichts steigender Lebenshaltungskosten keine nachhaltigen Produkte mehr leisten können und
  3. denkt über die Hälfte der Deutschen beim Shoppen eher ans Sparen als daran, die Welt zu retten.

Alle drei Aspekte, die dafür sorgen, dass Verbraucher sich am Ende gegen ein Produkt entscheiden, das nachhaltiger oder ökologischer ist, laufen am Ende auf einen Punkt hinaus: Das liebe Geld.

30 Prozent Bio bis 2030

Für Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir ist die Sachlage einfach: Er hält weiter am Ziel von 30 Prozent Bio bis 2030 fest. Denn: „Die Menschen wollen weiter Bio (…). Wichtig ist mir, dass sich Öko für die Betriebe ebenso lohnt wie für die Kundinnen und Kunden, damit die gute Wahl zur einfachen wird.“

Aber einfach wird sie erst dann, wenn sowohl Verbraucherinnen und Verbraucher als auch Landwirtinnen und Landwirte sich diese Wahl auch leisten können.

Weitere Informationen zu Bio-Markt:

Dr. Gereon Schulze Althoff Dr. Gereon Schulze Althoff ist Experte für nachhaltige Lebensmittelproduktion, Lebensmittelsicherheit und leitet das Nachhaltigkeits- und Qualitätsmanagement sowie das Veterinärwesen bei der Tönnies Unternehmensgruppe.

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